- Sowjetunion: Die UdSSR und der Ostblock
- Sowjetunion: Die UdSSR und der OstblockMit dem Übergang zum Kalten Krieg wurde das sowjetische Gesellschaftsmodell und seine Interpretation durch Stalin zur allein verbindlichen Richtschnur für alle Volksdemokratien erklärt. Die kommunistischen Führungen wurden strengen »Säuberungen« unterworfen. Nach sowjetischem Muster erhielt der Aufbau der Schwerindustrie überall Vorrang, zentralistische Planungsmethoden wurden eingeführt und gegen erhebliche Widerstände auch die Kollektivierung der Landwirtschaft vorangetrieben. Die Wirtschaftsproduktion wurde auf den Wiederaufbau der Sowjetunion hin ausgerichtet und die Ökonomien der Ostblockstaaten wurden miteinander vernetzt. Dazu wurde zu Beginn des Jahres 1949 eine gemeinsame Planungsorganisation ins Leben gerufen: der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, kurz RGW genannt oder nach der angelsächsischen Form Comecon.Die stalinistische HerrschaftEiner widersetzte sich den Zentralisierungsbestrebungen: Josip Tito, der seine Herrschaft in Jugoslawien nicht der Roten Armee zu verdanken hatte, sondern dem Sieg seiner eigenen Partisanenverbände. Als Tito im Winter 1947/48 Vorbereitungen zur Bildung einer Föderation der südosteuropäischen Staaten traf, wollte Stalin ihn stürzen. Tito verhaftete jedoch kurzerhand mögliche Anführer einer Verschwörung, und er hielt sich auch an der Macht, als Jugoslawien daraufhin im Juni 1948 aus dem Kominform ausgeschlossen wurde. Stalin brach die diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien ab, verhängte eine Wirtschaftsblockade und rief die Bevölkerung unablässig auf, »die faschistische Tito-Clique« zu stürzen — alles vergebens: Tito gewann durch den Widerstand vielmehr an Prestige und war dadurch in der Lage, einen »eigenen Weg zum Sozialismus« zu gehen, in dem die Arbeiterselbstverwaltung eine große Rolle spielte.In den übrigen kommunistischen Ländern aber verstärkte die Erfahrung mit Tito noch die Säuberungswelle. Schon 1948/49 verlor in Polen Parteisekretär Władysław Gomułka zusammen mit seinen engsten Vertrauten seine Ämter und wurde in Haft genommen, in Bulgarien wurde Parteisekretär Traitscho Kostow hingerichtet, in Ungarn wurde nach einem spektakulären Schauprozess der ehemalige Innen- und Außenminister László Rajk ebenfalls exekutiert; desgleichen sicherte in Albanien Enver Hoxha durch Schauprozesse gegen die projugoslawische Fraktion seiner Partei die Macht. In der Tschechoslowakei verloren auf Betreiben Klement Gottwalds zunächst 1951 ZK-Mitglied Gustáv Husák und Laco Novomeský ihre Macht, Außenminister Vladimír Clementis und der Parteigeneralsekretär Rudolf Slánský wurden verhaftet und nach einem Schauprozess wegen »titoistischen und zionistischen Umtrieben« 1952 hingerichtet; fast 150 angebliche Slánský-Anhänger erhielten hohe Zuchthausstrafen. In Rumänien schließlich gab es zwei Säuberungswellen: In der ersten 1951/52 wurde die »Moskowiter«-Gruppe ehemaliger Emigranten um Ana Pauker ausgeschaltet, 1954 im Verlauf der zweiten der ehemalige Justizminister Lucretiu PatraÇcanu hingerichtet.In der Sowjetunion wurde im März 1949 die Parteiorganisation des Leningrader Gebiets von Anhängern des Parteisekretärs Andrej Aleksandrowitsch Schdanow gesäubert, der im Jahr zuvor unerwartet gestorben war. Der Stalinkult wurde weiter verstärkt; ein Parteitag, der erstmals seit 13 Jahren im Oktober 1952 wieder einberufen wurde, stellte den »Generalissimus« stärker denn je in den Mittelpunkt aller Entscheidungen. Drei Monate nach dem Parteitag wurde die Verhaftung einer Gruppe von neun Ärzten bekannt gegeben, die den Führungsspitzen von Staat und Armee angeblich nach dem Leben getrachtet hatten. Gleichzeitig wurde eine Kampagne zur Steigerung der Wachsamkeit gegen »Nachlässigkeit«, »Leichtgläubigkeit« und »antimarxistischen Opportunismus« inszeniert. Säuberungen und Stalinverehrung sollten die Spannungen überwinden, die infolge der wachsenden Unfähigkeit des Diktators aufgetreten waren, alles zu entscheiden, was er in seinem grenzenlosen Misstrauen allein entscheiden wollte.Die Phase der EntstalinisierungDer Tod des göttlich verehrten Sowjetdiktators am 5. März 1953 erfüllte viele seiner Anhänger mit echter Trauer. Bald folgte aber auch ein Gefühl der Erleichterung. An die Spitze des Sowjetimperiums trat jetzt eine Führungstroika: Georgij Maksimilianowitsch Malenkow, den Stalin als Nachfolger in der Parteiführung präsentiert hatte, als Ministerpräsident, Geheimdienstchef Lawrentij Pawlowitsch Berija als Innen- und Staatssicherheitsminister und der Moskauer Gebietssekretär und vormalige ukrainische Parteichef Nikita Sergejewitsch Chruschtschow als Sekretär des Zentralkomitees der Partei. Die neue Führung amnestierte politische Opfer Stalins und senkte die Verbraucherpreise. Im Sommer folgten eine Umorientierung der Investitionen in die Konsumgüterindustrie und eine Lockerung des ideologischen Korsetts. Künste und Wissenschaft konnten sich wieder freier entfalten. 1954 veröffentlichte Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg eine Novelle mit dem Titel »Tauwetter«; sie gab der Epoche ihren Namen.Noch bevor sich die Liberalisierungstendenzen voll entfaltet hatten, wurde Berija Opfer einer Verschwörung. Im Juni 1953 enthoben ihn seine Genossen im Führungskollektiv seines Amtes, weil sie fürchteten, er könne sich zum Alleinherrscher aufschwingen. Ende Dezember wurde er hingerichtet, und der Geheimdienst verlor seine frühere Sonderstellung. Chruschtschow, der die Verschwörung organisiert hatte, gewann dadurch an Einfluss, und mit der Zeit konnte er seine Machtstellung weiter ausbauen. Im Februar 1955 musste Malenkow das Amt des Ministerpräsidenten an den bisherigen Verteidigungsminister Nikolaj Aleksandrowitsch Bulganin abtreten. Als dessen Nachfolger sicherte Marschall Georgij Konstantinowitsch Schukow, der populäre Sieger des Zweiten Weltkriegs, den Streitkräften innere Autonomie und einen fortgesetzt hohen Anteil am Volkseinkommen.Eine Lockerung des stalinistischen Zwangs fand auch in den Volksdemokratien statt. In der DDR führte der »forcierte Aufbau des Sozialismus«, den Walter Ulbricht seit dem Sommer 1952 betrieb, am 16./17. Juni 1953 zu einem Volksaufstand. Er wurde mithilfe sowjetischer Panzer sogleich niedergeschlagen, doch musste Ulbricht bei der Kollektivierung und ideologischen Vereinheitlichung zurückstecken. In Ungarn musste Parteichef Mátyás Rákosi auf Geheiß Moskaus im Juli 1953 den Wirtschaftsreformer Imre Nagy wieder als Ministerpräsidenten einsetzen. Wirtschaftsreformen, Stopp der Zwangskollektivierung und eine stärkere Trennung von Partei und Staat gab es auch in der Tschechoslowakei und in Polen. In Rumänien, Bulgarien und Albanien hingegen änderte sich nicht viel. Am 14. Mai 1955 unterzeichneten die Regierungschefs der RGW-Staaten in Warschau einen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand, den Warschauer Pakt. Er sicherte die sowjetische Hegemonie ab, nahm ihr aber gleichzeitig den Willkürcharakter der Stalinzeit.Auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 machte Chruschtschow die bislang stillschweigende Abkehr von stalinistischen Prinzipien auch offenkundig. In einer Rede zum Schluss des Kongresses listete er die Verbrechen des Diktators auf, geißelte den Personenkult und verurteilte den Stalinismus insgesamt als eine Entartung des Marxismus-Leninismus. Danach wurden zahlreiche Opfer der Säuberungen rehabilitiert und Terrorurteile aufgehoben. Das sollte der moralischen Erneuerung der Partei und des Regimes dienen, die Wiederannäherung an Jugoslawien erleichtern und dem Kommunismus insgesamt neue Anziehungskraft verleihen.Tatsächlich führte die Abrechnung mit den Verbrechen Stalins dem Regime neue Energien zu. Ein Jahr nach Chruschtschows Besuch in Belgrad, der allgemein als »Gang nach Canossa« aufgefasst wurde, reiste Tito im Juni 1956 im Triumphzug durch die Sowjetunion und bestärkte Chruschtschow in der Auffassung, »dass der Reichtum der Formen der Entwicklung des Sozialismus zu seiner Stärkung beiträgt«. Politische Führer der Dritten Welt, die im Kampf gegen die Kolonialherrschaft standen, fingen an, sich stärker für den Kommunismus zu interessieren; und Moskau fand jetzt leichter Wege, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Im westlichen Europa hingegen war die Aufdeckung der Verbrechen Stalins vielfach der Anlass zum Bruch mit der kommunistischen Idee überhaupt, und in Polen und Ungarn rief sie Entwicklungen hervor, die die sowjetische Hegemonie und damit den Ostblock insgesamt infrage stellten.In Polen machte in Anbetracht der wachsenden Demokratiebewegung Parteichef Edward Ochab im Oktober 1956 den Weg zu einer Wiedereinsetzung Gomułkas frei; und als die Stalinisten in der Parteiführung dagegen die sowjetische Führung zu Hilfe riefen, ließ sich Chruschtschow von Gomułka überzeugen, dass es ihm schon gelingen werde, das Land im sozialistischen Lager zu halten. In Ungarn hingegen entschied er sich zur Intervention. Am 23. Oktober war Imre Nagy im Zuge eines spontanen Aufruhrs zum Ministerpräsidenten ernannt worden. Als er unter dem Eindruck eines eskalierenden Generalstreiks am 30./31. Oktober 1956 ankündigte, Ungarn werde zwar sozialistisch bleiben, doch eine Mehrparteiendemokratie einführen und aus dem Warschauer Pakt austreten, wurde in Moskau die Durchsetzung einer Gegenregierung durch sowjetische Truppen beschlossen. Am 4. November begannen sie, Budapest anzugreifen; bis zum 10. November hatten sie den erbitterten Widerstand fast überall im Land gebrochen.Die Freiheitsbewegungen in Polen und in Ungarn brachten Chruschtschow in Schwierigkeiten. Orthodoxe Parteikräfte um Wjatscheslaw Michajlowitsch Molotow beschuldigten ihn, mit der Entstalinisierung das gesamte Regime zu gefährden. Gleichzeitig brachten die wirtschaftlichen Hilfen und Erleichterungen, die zur Beruhigung der Lage in den Volksdemokratien nötig waren, die Vertreter der Wirtschaftsbürokratie gegen ihn auf. Die Mehrheit der Mitglieder des Parteipräsidiums stimmte Ende Juni 1957 für seine Abwahl als Erster Sekretär. Chruschtschow half sich, indem er sich erstens von Titos Unabhängigkeitsparolen distanzierte und zweitens die mittleren Funktionäre für sich mobilisierte, die besser als viele Funktionäre der Zentrale verstanden hatten, was tatsächlich der Stabilisierung des Regimes diente. Mit Unterstützung der Armee rief er kurzfristig eine Plenarsondersitzung des Zentralkomitees ein, die Molotow und die anderen Vertreter der »Antiparteigruppe« abwählte. Im Oktober erlangte er mit der Absetzung Schukows auch noch die Kontrolle über die Armee, und im März 1958 übernahm er von Bulganin das Amt des Ministerpräsidenten.Die Ära ChruschtschowBegünstigt wurde Chruschtschows Aufstieg durch eine insgesamt positive Wirtschaftsentwicklung in der 2. Hälfte der Fünfzigerjahre. Die Bruttoproduktion der Gesamtindustrie der Sowjetunion verdoppelte sich, das Pro-Kopf-Einkommen stieg jährlich um durchschnittlich 5,6 Prozent (nach westlichen Berechnungen immerhin um 4,0 Prozent). Im Oktober 1957 gelang es sowjetischen Raumfahrttechnikern als Ersten, mit dem Sputnik einen Satelliten auf die Erdumlaufbahn zu schicken, und im April 1961 katapultierten sie, ebenfalls vor den Amerikanern, den ersten Astronauten ins All — Jurij Aleksejewitsch Gagarin, der den Erdball in seiner »Wostok«-Raumkapsel umkreiste. Das rief den Eindruck hervor, auch in der technologischen Entwicklung an der Spitze des Fortschritts zu stehen. Auf dem XXII. Parteitag der KPdSU im Oktober 1961 ließ sich Chruschtschow zu der optimistischen Prophezeiung verleiten, in 20 Jahren werde die Sowjetunion die USA wirtschaftlich überholt und das Stadium des Kommunismus erreicht haben.In Ungarn half der ökonomische Boom sehr bei der Stabilisierung des Regimes. Parteichef János Kádár wusste ihn zu fördern, indem er ein wenig orthodoxes Wirtschaftsmanagement betrieb und die ideologische Indoktrination so weit wie möglich zurücknahm. Die Arbeiterräte, die sich im Zuge der Demokratiebewegung 1956 gebildet hatten, blieben erhalten, und der Intelligenz wurden in Grenzen künstlerische und geistige Freiheiten zugestanden. Mit der Zeit konnte Kádár es sogar wagen, sein Land zum Westen hin zu öffnen: Den Ungarn wurden vermehrt Westreisen genehmigt, die das Regime nicht gefährdeten, sondern im Gegenteil, weil sie als Ventil wirkten, weiter stabilisierten. »Gulaschkommunismus« wurde zum Schlagwort für eine erträgliche Form kommunistischer Herrschaftspraxis in Europa.In Polen gelang die Stabilisierung aufgrund eines Kompromisses mit den Bauern und der katholischen Kirche. Die landwirtschaftlichen Betriebe wurden zu 85 Prozent reprivatisiert, die Kirche durfte ihre Ämter wieder ohne staatliche Einflussnahme besetzen und in den Schulen wie bei den Streitkräften wieder religiösen Unterricht und Seelsorge betreiben. Die zivilen Kräfte fanden sich daraufhin mit der Einschränkung ihrer Freiheiten ab, und die Arbeiter nahmen die neuerliche Zentralisierung der Wirtschaftslenkung hin, solange es wirtschaftlich einigermaßen voranging.In der DDR bedurfte es dagegen des Baus der Berliner Mauer am 13. August 1961, um das Regime wirtschaftlich und politisch zu stabilisieren. Eine permanente Fluchtbewegung von Deutschland-Ost nach Deutschland-West hatte in den Jahren zuvor alle Bemühungen zunichte gemacht, den »ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat« wirtschaftlich zu konsolidieren und die konkurrierende Bundesrepublik im Wohlstandsniveau zu überholen. Ein Ultimatum vom November 1958, mit dem Chruschtschow die Neutralisierung des Schlupflochs Westberlin oder zumindest eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR erreichen wollte, hatte nicht die erhoffte Wirkung. Daraufhin konnte Ulbricht unter Hinweis auf den drohenden wirtschaftlichen Kollaps mit dem Mauerbau wenigstens die vollständige Abriegelung West-berlins erreichen. Damit war das Schlupfloch gestopft, und die Bevölkerung der DDR musste sich auf ein Arrangement mit dem SED-Regime einrichten.Die pragmatische Konsolidierung führte die industriell entwickelteren Länder des Ostblocks näher zusammen. Dagegen traten scharfe Spannungen zu den rückständigeren Ländern auf, die sich im Zuge des weiteren industriellen Fortschritts mit der Rolle von Agrarproduzenten und Rohstofflieferanten begnügen sollten. Der rumänische Parteichef Gheorghe Gheorghiu-Dej brachte sein Land daraufhin auf einen unabhängigen Kurs: Unter strikter Wahrung des polizeistaatlichen Machtmonopols trieb er die Industrialisierung mithilfe westlicher Kredite voran und boykottierte 1962/63 einen Versuch Chruschtschows, Investitionsentscheidungen künftig durch den RGW treffen zu lassen. Albanien unter der Führung von Enver Hoxha verließ 1961 sogar den RGW und stellte die Mitarbeit im Warschauer Pakt praktisch ein. Im ideologischen Konflikt zwischen Moskau und Peking, der in vielen kommunistischen Parteien zur Spaltung in prochinesische und prosowjetische Flügel führte, stellte sich Hoxha offen auf die Seite der chinesischen Gegner einer »friedlichen Koexistenz«. Bulgarien »flirtete« hingegen unter Todor Schiwkow nur kurze Zeit mit der chinesischen Führung. Als ein ehrgeiziges Entwicklungsprogramm aus Mangel an eigenen Rohstoffen in ein Desaster umzuschlagen drohte, half Chruschtschow mit großzügigen Krediten aus, die das Land wieder an die sowjetische Führung banden.Allgemein nahm mit dem Wachstum der nationalen Volkswirtschaften auch die politische Eigenständigkeit der Volksdemokratien zu. Dabei erschien die Wahrung der sozialistischen Ordnung zunehmend als ein gemeinsames Interesse der Parteiführungen und Apparate, für das es in wechselseitiger Solidarität einzustehen galt. Entsprechend übernahmen die Volksdemokratien ab 1960 im Warschauer Pakt größere Verantwortung. Ihre Armeen wurden modernisiert und zunehmend integriert. Die Armeen Polens, der Tschechoslowakei und der DDR, denen besondere strategische Bedeutung zukam, wurden in ihrer Ausrüstung der Sowjetarmee angepasst. Gemeinsame Manöver und regelmäßige Sitzungen des Beratenden Politischen Ausschusses ließen die Verbände zusammenwachsen.Zu Beginn der Sechzigerjahre gingen die Zuwachsraten der sowjetischen Volkswirtschaft deutlich zurück, die systembedingten Mängel planwirtschaftlicher Organisation machten sich stärker bemerkbar. Um sie zu beheben, wurden die Kompetenzen der regionalen Volkswirtschaftsräte beschnitten, die erst 1958 anstelle der zentralen Branchenministerien eingerichtet worden waren. 1962 wurden zahlreiche Staatskomitees geschaffen, die allerdings nur Empfehlungen abgeben konnten. Die Parteiorganisationen wurden bis auf die lokale Ebene hinunter in einen industriellen und einen landwirtschaftlichen Sektor aufgeteilt. Hinzu kamen kurzfristig angesetzte Kampagnen, so zur Verdreifachung der Chemieproduktion in einem Zeitraum von sieben Jahren oder zur Erweiterung der landwirtschaftlichen Anbauflächen. Sie alle hatten freilich einen eher gegenteiligen Effekt: Zur mangelnden Effizienz kamen jetzt auch noch Planungsunsicherheit und vielfache Frustration hinzu.Die Unfähigkeit, die Krisenerscheinungen in Industrie und Landwirtschaft in den Griff zu bekommen, und der Groll, den seine einsamen und impulsiven Entscheidungen allerorten hinterließen, wurden Chruschtschow schließlich zum Verhängnis. Im Frühjahr 1964 begannen Leonid Iljitsch Breschnew, für die Rüstungsindustrie zuständiger ZK-Sekretär, und der Wirtschaftsfachmann Aleksej Nikolajewitsch Kossygin, Chruschtschows Stellvertreter als Ministerpräsident, in aller Heimlichkeit für eine neue Verschwörung gegen den Partei- und Regierungschef zu werben. Beide fürchteten, bei dem nächsten Plenum des Zentralkomitees im November 1964 durch jüngere Kräfte abgelöst zu werden. Da sich unterdessen auch bei den mittleren Funktionären vielfache Unzufriedenheit angesam-melt hatte, waren sie erfolgreich. Am 12. Oktober 1964 wurde Chruschtschow zu einer Präsidiumssitzung geladen, auf der ihm erklärt wurde, nicht länger tragbar zu sein. Zwei Tage später bestätigte das Zentralkomitee die Wahl Breschnews zum Ersten Sekretär und die Berufung Kossygins zum Ministerpräsidenten.Der Ostblock unter BreschnewMit dem Sturz Chruschtschows trat wieder eine kollektive Führung an die Spitze der Sowjetunion. Breschnew galt zwar unangefochten als der erste Mann der Partei; er blieb aber vom Konsens und vielfach auch von der Kompetenz seiner Mitverschwörer abhängig. Kossygin konnte als hervorragender Kenner der Dossiers und penibler Lenker des Staatsapparats eigenen Einfluss gewinnen; er war jedoch nicht in der Lage, sich die Partei unterzuordnen, und hatte auch keine entsprechenden Ambitionen. Der Dritte, wenn auch Schwächste im Bunde war Nikolaj Wiktorowitsch Podgornyj, seit 1965 Vositzender des Präsidiums des Obersten Sowjets und damit Staatsoberhaupt. So blieb es lange Zeit bei einem prekären Gleichgewicht der Macht, das Parteiführung und Regierung jedoch nicht daran hinderte, weitgehend effektiv zusammenzuarbeiten.Die neue Führung nahm Reformen in Angriff, die sich durch größere Zielstrebigkeit und Folgerichtigkeit auszeichneten, als sie dem Einzelkämpfer Chruschtschow möglich gewesen waren. Die Trennung der Parteisektionen wurde sogleich wieder zurückgenommen. Sodann wurden die Investitionen im landwirtschaftlichen Bereich beträchtlich erhöht. Die Kolchosen brauchten weniger Agrarprodukte abzuliefern, konnten also mehr für den freien Markt produzieren. Für Kolchosangehörige wurden ein fester Lohn und eine staatliche Altersrente eingeführt. Die Industriebetriebe erhielten Mittel zur Prämienzahlung, mit denen die Leistung der Belegschaften honoriert werden konnte. In gewissem Maß konnten sie auch bei der Planfestsetzung mitreden, sodass die Produktion besser auf den Bedarf abgestimmt wurde.Mit diesen Maßnahmen gelang es tatsächlich, die sowjetische Wirtschaft noch einmal voranzubringen. In der 2. Hälfte der Sechzigerjahre stiegen die Zuwachsraten des Pro-Kopf-Einkommens auf durchschnittlich 5,9 Prozent pro Jahr (nach westlichen Berechnungen 5,1 Prozent). Die soziale Lage breiter Bevölkerungskreise verbesserte sich, die Kolchosbevölkerung fand Anschluss an das allgemeine Lebensniveau. Es gab auch genügend Kapital, um westliche Industriegüter zu importieren und so die technologische Modernisierung voranzutreiben. Darüber hinaus reichte die Wirtschaftskraft des Landes aus, um in der Rüstungsentwicklung einigermaßen mithalten zu können: Der Aufbau eines Arsenals von Kernwaffen, der schon unter Chruschtschow eingesetzt hatte, führte bis zu Beginn der Siebzigerjahre zu annähernd quantitativer Parität mit den USA, auch wenn es qualitativ immer noch hinter den amerikanischen Neuentwicklungen zurückblieb.In den Volksdemokratien waren ähnliche Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität und des Außenhandels zu verzeichnen. Besonderen Ehrgeiz entwickelte dabei die DDR. Mit dem 1963 beschlossenen Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung (NÖSPL) wurde den Kombinaten weitgehende Selbststeuerung zugestanden, die Kompetenzen der Betriebe wurden erweitert, das Prämiensystem wurde ausgebaut, und die Preise hatten sich an den Kosten zu orientieren. In Ungarn entwickelte sich eine sozialistische Marktwirtschaft mit offener Konkurrenz der Betriebe und gezielter Förderung privater Handwerksbetriebe. Rumänien trieb seine Industrialisierung mithilfe verstärkter Wirtschaftsbeziehungen zum Westen voran; Nicolae Ceauşescu, der nach Gheorghiu-Dejs Tod im März 1965 die Nachfolge antrat, schreckte dabei nicht einmal davor zurück, gegen den Willen Moskaus Anfang 1967 diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen.Lediglich in der Tschechoslowakei tat sich wenig. Die Parteiführung um Antonín Novotný, der 1953 Klement Gottwald als Erster Sekretär der tschechoslowakischen KP nachgefolgt war, fand sich erst 1963 bereit, Maßnahmen zur Entstalinisierung durchzuführen, und eine Wirtschaftsreform wurde bis Anfang 1967 verschleppt. Daraus resultierte ein rapider Autoritätsverfall, der schließlich zu Beginn des Jahres 1968 zu seiner Ablösung durch Alexander Dubček, den bisherigen Ersten Sekretär der slowakischen Partei, führte. Dubček bemühte sich um eine Versöhnung von Partei und Volk — und löste damit die Mobilisierung einer nationalen und demokratischen Bewegung, den Prager Frühling, aus. Ein Aktionsprogramm der Partei, das am 5. April verabschiedet wurde, verhieß in vagen Worten einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«; Delegiertenwahlen zu einem Parteitag, der für den August vorbereitet wurde, brachten eine breite Mehrheit für die Reformer.Das rief alsbald Befürworter einer militärischen Intervention gegen die »Konterrevolution« auf den Plan: in vorderster Front Ulbricht und Gomułka, die ein Übergreifen der Bewegung auf ihre Länder befürchteten, daneben die Generäle des Warschauer Pakts und die Vertreter des KGB-Apparats. Nach langem Zögern und Verhandlungen mit Dubček gab Breschnew ihnen Mitte August schließlich nach. In der Nacht zum 21. August begann die Besetzung der Tschechoslowakei durch sowjetische Truppen, die von Einheiten Polens, Ungarns, Bulgariens und der DDR unterstützt wurden. Damit war der Prager Frühling zu Ende. Die Reformer verloren nach und nach ihre Ä mter; schließlich wurde Dubček im April 1969 durch Gustáv Husák abgelöst, der als Opfer der Säuberungen der Gottwald-Ära gelernt hatte, mit Kompromissen zu leben.Begründet wurde die Intervention in der Tschechoslowakei mit der »Gefahr«, die für die »ganze sozialistische Gemeinschaft« entstanden sei. Im Westen interpretierte man die eingeschränkte Souveränität der sozialistischen Staaten als Ausdruck einer besonderen Breschnewdoktrin. Tatsächlich förderte die Niederschlagung der Prager Reform die Entwicklung von Dissidentengruppen, die nicht mehr auf eine Reform der kommunistischen Parteien setzten, sondern auf eine Erneuerung der Gesellschaften der Ostblockstaaten von unten. Zunächst entstanden solche Gruppen in der Sowjetunion, später auch in der Tschechoslowakei und in Polen. Die Behörden begegneten ihnen mit Repressalien, konnten sie aber nicht zum Schweigen bringen.Die Niederschlagung der Demokratiebewegung in der Tschechoslowakei konnte Arbeiterunruhen in Polen, ausgehend von Danziger Werftarbeitern im Dezember 1970, nicht verhindern. Gomułka setzte dagegen zunächst seine Ordnungskräfte ein; der Arbeitsfriede konnte jedoch erst wiederhergestellt werden, als er zurücktrat und die Regierung den Streikenden entgegenkam. Neuer Parteichef wurde Edward Gierek, der Wortführer des technokratischen Flügels der Partei- und Staatsbürokratie. Er trieb die Industrialisierung mithilfe umfangreicher westlicher Kredite voran und nahm dabei in Kauf, dass sich die Kirche und die kritische Intelligenz stärker artikulieren konnten. Der Vertrauensvorschuss, mit dem er sein Amt antrat, ging jedoch bald wieder verloren. Die Arbeiter waren nicht bereit, die Konsumbeschränkungen hinzunehmen, die die forcierte Industrialisierung erforderte; und die Intellektuellen fanden es zunehmend unbefriedigend, dass sie keinen Einfluss auf die Entscheidungen nehmen konnten. Im Juni 1976 führte die Ankündigung einer Erhöhung der Lebensmittelpreise zu neuen Streiks. Die Schulden, die das Land im Westen gemacht hatte, konnten aber nur noch mithilfe weiterer Konsumbeschränkung ausgeglichen werden.Von Breschnew zu GorbatschowIn der Auseinandersetzung mit den vielfältigen Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegungen hielt Breschnew einen mittleren Kurs zwischen Ideologen, die immer noch an die Utopie einer geschlossenen kommunistischen Bewegung glaubten, und Pragmatikern, die pluralistische Ansätze als Chance begriffen, neue Kräfte für den Sowjetstaat zu mobilisieren. Das trug ebenso zu seinem Aufstieg bei wie die Erfolge in der Entspannungspolitik, die sich nach dem Moskauer Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland 1970 einstellten, etwa das erste Abkommen über die Begrenzung der strategischen Rüstung mit den USA 1972, das die Gleichrangigkeit der Sowjetunion als Weltmacht signalisierte, oder die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki 1975. Bis Mitte der Siebzigerjahre rückte Breschnew unangefochten in das Zentrum der sowjetischen Macht; im Juni 1977 übernahm er zusätzlich das Amt des Präsidenten des Obersten Sowjets. Für die Entwicklung des Ostblocks war das insofern verhängnisvoll, als Breschnew zu dieser Zeit an einer Arterienverkalkung zu leiden begann, was seine Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigte und sich in einem Nachlassen der Reformdynamik niederschlug. Die dritte industrielle Revolution durch die Computertechnologie wurde von der Sowjetunion weitgehend verschlafen, die Wachstumsraten gingen wieder auf das Niveau der späten Sechzigerjahre zurück, und der Abstand zu den führenden Industrienationen wurde zusehends größer. Gleichzeitig stiegen die Auslandsschulden, und damit wurde das Sowjetimperium in zunehmendem Maße vom Westen abhängig. Im Dezember 1980 starb Kossygin, ohne dass ein gleichermaßen qualifizierter Nachfolger zur Verfügung stand.Die DDR konnte sich dank finanzieller Leistungen der Bundesrepublik über Wasser halten. Erich Honecker, der im Mai 1971 den verbrauchten Ulbricht abgelöst hatte, bezahlte sie allerdings notgedrungen mit zunehmender Öffnung der Grenzen zum kapitalistischen Westen. In Polen führte die Wirtschaftskrise im Sommer 1980 zu einer neuen Streikbewegung. Sie breitete sich diesmal über das ganze Land aus und führte zur Bildung einer unabhängigen Gewerkschaft, der Solidarność. Arbeiter, Kirche und Intelligenz verbündeten sich jetzt, um eine wirkliche Demokratisierung des Landes einzufordern. Ihre Bewegung wurde im Dezember 1981 durch die Verhängung des Kriegsrechts durch General Wojciech Jaruzelski niedergeschlagen, konnte aber nicht dauerhaft ausgelöscht werden. Generell machten sich Zynismus und Desillusionierung breit; die Regierenden gerieten unter einen Erwartungsdruck, dem sie zunehmend weniger gerecht werden konnten.Nach dem Tod Breschnews am 10. November 1982 nahm Jurij Wladimirowitsch Andropow als Nachfolger zunächst die Beseitigung des Schlendrians in Partei- und Staatsführung in Angriff. Binnen eines Jahres erkrankte er aber ebenfalls, und nach seinem Tod am 9. Februar 1984 übernahm wieder eine kollektive Führung mit dem engen Mitarbeiter Breschnews, Konstantin Ustinowitsch Tschernenko, als Generalsekretär das Ruder. Tschernenkos Tod am 10. März 1985 wiederum machte den Weg für Michail Sergejewitsch Gorbatschow frei, den Andropow schon als rechte Hand ins Auge gefasst hatte. Er schien, eine Generation jünger als die in die Jahre gekommenen Weggefährten Breschnews, als Einziger in der Lage zu sein, den Reformstau zu bewältigen, der sich Mitte der Achtzigerjahre im Sowjetblock angehäuft hatte.Prof. Dr. Wilfried Loth, EssenWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Ostblock: Die AuflösungSowjetunion: Gorbatschows Politik der ErneuerungGrundlegende Informationen finden Sie unter:Sowjetunion: Stalinistischer Staat und Stalins persönliche Diktatur
Universal-Lexikon. 2012.